
Im Jahr 2022 stand ich erstmals vor Weihnachten ohne meinen langjährigen Partner da. Nach einer Trennung und zwei Jahren ohne Familie fühlte sich der Gedanke, den Tag alleine zu verbringen, überwältigend und beängstigend an. Allein dazusitzen, während andere mit ihren Familien feierten, erschien mir schwer erträglich.
Obwohl ich wusste, dass Familientreffen oft herausfordernd sein können und emotional belasten, war die Angst vor Isolation real. Ich fragte mich, ob es noch mehr Menschen gibt, die sich die Feiertage ohne ihre biologische Familie vorstellen müssen. Daraus entstand die Idee des »Waifs and Strays Christmas« – ein Ort für jene, die aus welchen Gründen auch immer, in dieser meist familienzentrierten Zeit getrennt sind.
»Waifs and Strays Christmas« bringt Menschen zusammen, die sich von ihren biologischen Familien distanziert fühlen. Sei es durch Entfremdung, Entfernung oder den Wunsch nach einer alternativen Feier. Ob Streit mit Verwandten, große Entfernung oder der Wunsch nach neuen Wegen – dieses inklusive Treffen ist für jeden offen.
Die Feiern können ganz unterschiedlich aussehen – manche lieben traditionelle Dekorationen, Glühwein und ein klassisches Weihnachtsessen. Andere verzichten bewusst auf typische Rituale und schätzen ehrliche Gespräche über komplizierte Familienverhältnisse oder einfach die Gesellschaft ohne Erwartungsdruck.
Im Zentrum steht das Miteinander. Hier begegnen sich Menschen, die Weihnachten emotional schwer fällt, und solche, die neue Erinnerungen außerhalb bekannter Normen schaffen wollen. Es geht um Mitgefühl, Unterstützung und Zugehörigkeit in einer oft einsamen Zeit.

Ein Hauptgrund, warum viele die Feiertage allein verbringen, ist Familienentfremdung, die weiter verbreitet ist, als viele vermuten. Studien der Organisation StandAlone zeigen, dass mindestens 20 % der Menschen in Großbritannien familiäre Distanz erleben, also etwa jede fünfte Familie davon betroffen ist.
Über ein Viertel kennt jemanden, der nicht mehr mit seiner Familie spricht. Gerade zu Weihnachten verstärken sich oft Einsamkeitsgefühle, da die Zeit häufig als Familie zusammen dargestellt wird. Für Betroffene bedeuten Feiertage oft schmerzhafte Erinnerungen, besonders wenn vergangene Erlebnisse von toxischen oder missbräuchlichen familiären Beziehungen geprägt sind.
Gefühle wie Schuld oder Zweifel sind typisch für diejenigen, die die Entfremdung initiiert haben. Gerade zu besinnlichen Anlässen hinterfragt man oft, ob man Konflikte hätte überwinden oder Versöhnungen suchen sollen. Solche Gedanken nehmen in der Weihnachtszeit oft zu.
Familienentfremdung ist nicht der einzige Grund, alternative Weihnachtsfeiern zu suchen. Auch Menschen mit guten Familienbeziehungen wünschen sich manchmal eine Pause von Traditionen. Als ich mein erstes Waifs and Strays Christmas plante, waren viele Freunde, die Zeit mit ihrer Familie lieben, neidisch. Sie sehnten sich danach, die Feiertage nach eigenen Vorstellungen zu verbringen – sei es mit dem Partner, Freunden oder einfach allein und entspannt.
Doch gesellschaftlicher Druck zwingt viele dazu, Pflichtgefühl gegenüber der Familie zu zeigen und traditionelle Feste einzuhalten. Loyalität ist schön und gelegentlich ein Verzicht auf eigene Wünsche für andere ehrenwert. Doch es ist ebenso wertvoll, eigene Gemeinschaften und gewählte Familien anzuerkennen – Verbindungen, die tatsächlich das Wohlbefinden fördern, unabhängig von biologischen Bindungen.
In ihrem Buch lädt die Schriftstellerin und angehende Psychotherapeutin Sophie K Rosa dazu ein, über das klassische Familienbild hinauszudenken und Beziehungen zu wählen, die persönliches Wachstum und Fürsorge unterstützen – häufig sind das bewusste, liebevolle Gemeinschaften jenseits der Blutsfamilie.

Mein Erlebnis mit Waifs and Strays Christmas 2022 war keineswegs einsam, sondern voller Heilung, Spaß und echter Verbindungen. Gemeinsam genossen wir winterliche Getränke wie Snowballs, Spaziergänge an der frischen Luft, Kinobesuche und gemeinsame Kochmomente. Die Gruppe war vielfältig – von jungen Erwachsenen bis zu älteren Teilnehmerinnen.
Wir tauschten Geschichten über Familienverhältnisse aus – ob präsent, belastet oder abwesend – und entwickelten neue Rituale, während wir alte, nicht mehr dienliche losließen. Unsere Gespräche waren persönlich und zugleich spielerisch, eine ausgewogene Mischung.
Am Weihnachtstag feierte ich mit einer Gruppe, die bewusst die Wahlfamilie bevorzugt. Wir kochten zusammen, schauten Filme und gingen spazieren. Was ich vorher als isolierend empfand, wurde zu einer freudvollen Gemeinschaft. Diese Erfahrung veränderte meine Sicht auf die Feiertage grundlegend.
Auch dieses Jahr sind die Waifs and Strays Treffen wieder lebhaft mit Plänen für Filme wie Die Hard, Cocktails, gemeinsames Essen und Spaziergänge mit neuen Bekannten. Am Weihnachtstag verbringe ich Zeit mit meinem Ex-Partner, der nun ein geschätzter Freund ist, sowie seiner Familie – was für viele überraschend ist, doch für mich die Flexibilität von Beziehungen und selbstbestimmte Familiendefinition symbolisiert.
Die Akzeptanz, Familie selbst zu wählen, bietet Raum für warme, respektvolle und liebevolle Feiertagserlebnisse.
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Es ist unbestreitbar, dass für Menschen, die von ihrer biologischen Familie entfremdet oder getrennt sind, die Weihnachtszeit oft traurig sein kann. Gesellschaftlich wird häufig das Bild vermittelt, dass wir gerade in dieser Zeit unsere Familie sehnen sollten, auch wenn die Beziehungen schmerzhaft sind.
Doch es ist ebenso kraftvoll und ermutigend, die Feiertage als Chance zu sehen, etwas Neues zu wagen: Kontakte zu bekannten und neuen Menschen zu knüpfen, Erwartungen hinter sich zu lassen und authentisch zu feiern.
Über traditionelle Familienstrukturen hinauszudenken bedeutet, diejenigen zu feiern, die uns wirklich am Herzen liegen – die wir bewusst auswählen und pflegen, unabhängig von genetischen Bindungen. Seit ich meine Erfahrungen teile, haben sich zahlreiche Menschen bei mir gemeldet, die Weihnachten alleine verbringen und so eine größere Gemeinschaft um dieses neue Konzept entstanden ist.
Mein Wunsch ist, dass Waifs and Strays Christmas zu einem weit verbreiteten Fest wird, das jeden willkommen heißt, dessen familiäre Situation nicht der üblichen Norm entspricht. Jeder verdient es, Freude, Verbundenheit und Gemeinschaft in der festlichen Zeit zu spüren, ganz gleich, wie die Umstände sind.
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